getragen – tragen – ertragen
getragen – tragen – ertragen
Ausstellung vom 23.11. – 3.12.2019
in der Abtei, Wasserzucht 1, 31515 Wunstorf.
Initiatorin
Sabine Thatje-Körber
Beteiligte Künstlerinnen:
Alia Hissi, Assunta Verrone, Holle Voss, Kelyne Reiss, Marion Kerns-Röbbert, Petra Freese, Sabine Thatje-Körber, Sherin Dawoud
Gefördert durch Gleichstellungsstelle der Stadt Wunstorf, der Stadt Wunstorf, der Stadtsparkasse Wunstorf, der Region Hannover, der Abtei, Wunstorf, dem Stadttheater, Wunstorf und der Accademia di Ipazia e.V.
Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Frau Jutta Grätz.
Acht Frauen, acht Geschichten, eine Ausstellung: „getragen-tragen-ertragen“: heißt die Werkschau, in der acht Künstlerinnen ihr Plädoyer für die Menschenrechte und die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen zum Ausdruck bringen. Dabei sind die Künstlerinnen so unterschiedlich wie ihre Werke, ihre Geschichten, ihre Ausdrucksformen. Sie kommen aus mehreren Generationen und Ländern. Manche leben schon lange hier, manche sind erst vor Kurzem angekommen. Alia Hissi stammt aus Syrien, Sherin Dawoud aus Kurdistan, Assunta Verrone aus Italien, Kelyne Reis aus Brasilien – und Holle Voss, Marion Kerns-Röbbert, Petra Freese und Sabine Thatje-Körber aus Deutschland.
Manche haben ihre Bilder eigens für die Ausstellung angefertigt, manche präsentieren ältere. Was sie eint, ist ihre Kunst für eine offene, friedliche und solidarische Gesellschaft, in der Mädchen und Frauen den gleichen Wert haben wie Jungen und Männer, in der sie gleiche Rechte und Chancen bekommen.
Der Zeitpunkt dieser Ausstellung auf Einladung der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Wunstorf Sandra Werner könnte nicht passender gewählt sein: Die Eröffnung fällt zwei Tage vor den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Gleichzeitig jährt sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zum 71. Mal. Verkündet am 10. Dezember 1948, zählt sie zu den wohl bekanntesten Dokumenten der Welt. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde“, heißt es im ersten Artikel, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in einem anderen.
Die Erklärung der Menschenrechte manifestiert das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Bildung, freie Entfaltung der Persönlichkeit. Für dieses „Recht auf Recht“ plädierte mit Hannah Arendt schon eine der bedeutendsten Denkerinnen der Moderne. „Man darf sich nicht ducken, man muss aufstehen, sich wehren“, ist in einem ihrer Texte zu lesen.
Die acht Künstlerinnen der Ausstellung getragen-tragen-ertragen ducken sich nicht weg, sie stehen auf, sie sind mutig und laut, benennen ihre Themen – mal ganz direkt und provozierend, mal sehr subtil und verschlüsselt, aber immer mit voller Wucht. Es geht ihnen darum, zu zeigen, was Menschen mit Menschen machen. Mit ihren Bildern und Installationen gewähren sie einen tiefen Blick in ihre eigene Seele. Gleichzeitig geben sie damit einen schonungslosen Einblick in die Gesellschaft, die Kultur, in der sie leben und lebten. Ihre Kunst fordert zur Auseinandersetzung heraus. „Kunst hat die Aufgabe, wachzuhalten, was für uns Menschen von Bedeutung und notwendig ist“, das forderte der Renaissance-Künstler Michelangelo bereits vor 500 Jahren.
Unterdrückung und Gewalt stehen im Mittelpunkt der meisten Werke der Ausstellung. Auf der ganzen Welt, in vielen Kulturkreisen, in allen gesellschaftlichen Schichten, sind Mädchen und Frauen Opfer von Gewalt. Stalking, sexuelle Gewalt, Einschüchterungen, Misshandlung – Gewalt an Frauen hat viele Gesichter. Weltweit sind Frauen noch immer gefangen zwischen Tradition und Moderne, zwischen Tabus, Traumata und Träumen, zwischen (Mit)-verantwortung und Protest, zwischen Ja und Nein. Auch diese Zerrissenheit ist in den Werken der acht Künstlerinnen sicht- und spürbar.
Ihre Werke zeigen auch die Zerrissenheit zwischen Ansprüchen und Erwartungen – die eigenen und die der Gesellschaft. Das Bild Die Gedanken sind frei von Sabine Thatje-Körber, Initiatorin der Ausstellung, spricht dafür stellvertretend. Wie Marionetten hängen die Frauen an Fäden, wie fremdgesteuert. Dabei lächelt die Frau im Bildzentrum in sich hinein: Ihre Gedanken und ihr Wissen kann ihr keiner nehmen. Auch das ist eine Botschaft der acht Künstlerinnen. Sie haben die Freiheit, sich mit ihrer Kunst zu äußern. Ihre Werke sind dabei gleichzeitig Ausdruck von Hoffnung und Chance. Ihre Kunst ist, um mit Johann Wolfgang von Goethe zu sprechen, Vermittlerin des Unaussprechlichen. Und war nie aktueller.
Jutta Grätz (M.A.)
Kunsthistorikerin und freie Journalistin